Die Vision einer barrierefreien digitalen Welt, in der alle Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten uneingeschränkt am Online-Leben teilhaben können, rückt durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) näher. KI-gestützte Tools versprechen, Webseiten automatisch barrierefrei zu gestalten und so die Inklusion im Internet voranzutreiben. Doch die Realität zeigt, dass dieser Weg komplexer ist als gedacht.
Das KI-Startup Accessibe, Anbieter eines Plugins zur automatischen Barrierefreiheitsoptimierung von Webseiten, wurde von der US-amerikanischen Federal Trade Commission (FTC) zu einer Strafzahlung von einer Million US-Dollar verurteilt. Accessibe warb mit vollumfänglicher Barrierefreiheit nach WCAG-Standard durch den Einsatz von KI, ein Versprechen, das sich in der Praxis als nicht haltbar erwies. Die FTC kritisierte zudem irreführende Marketingpraktiken, darunter die Verschleierung von Beziehungen zu positiven Produktbewertern.
Dieser Fall verdeutlicht die Grenzen der aktuellen KI-Technologie im Bereich der Barrierefreiheit. Auch wenn KI-Tools bei der automatisierten Überprüfung und Anpassung von Webseiten unterstützen können, sind sie nicht in der Lage, alle Aspekte der Barrierefreiheit umfassend zu gewährleisten. Insbesondere die semantische Interpretation von Inhalten und die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen stellen für KI-Systeme weiterhin eine Herausforderung dar.
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind international anerkannte Standards für die Gestaltung barrierefreier Webinhalte. Sie definieren vier Grundprinzipien: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Für jedes Prinzip werden konkrete Erfolgskriterien festgelegt, die in drei Konformitätsstufen (A, AA, AAA) eingeteilt sind.
Die Einhaltung der WCAG ist nicht nur ethisch wünschenswert, sondern in vielen Ländern auch gesetzlich vorgeschrieben. In der Europäischen Union tritt 2025 der European Accessibility Act (EAA) in Kraft, der für öffentliche Stellen und Unternehmen im Online-Handel verbindliche Barrierefreiheitsstandards festlegt. In Deutschland wird der EAA durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) umgesetzt.
KI kann bei der Umsetzung der WCAG eine wertvolle Unterstützung bieten. KI-gestützte Tools können Webseiten automatisiert auf Barrierefreiheit prüfen, Bildbeschreibungen generieren, Texte auf Lesbarkeit analysieren und in einfache Sprache übersetzen. Sie können Webentwicklern helfen, potenzielle Barrieren frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
Dennoch ist KI kein Allheilmittel. Die manuelle Überprüfung durch Experten und Tests mit Menschen mit Behinderungen bleiben unerlässlich, um die tatsächliche Barrierefreiheit einer Webseite sicherzustellen. KI sollte als Werkzeug verstanden werden, das den Prozess der Barrierefreiheitsoptimierung unterstützt, aber nicht ersetzt.
Der Einsatz von KI im Bereich der Barrierefreiheit bietet enorme Chancen. KI-Tools können den Aufwand für die manuelle Barrierefreiheitsoptimierung reduzieren, die Qualität von Webinhalten verbessern und die Inklusion im Internet fördern.
Gleichzeitig sind auch Herausforderungen zu bewältigen. Die Entwicklung von KI-Systemen, die die komplexen Anforderungen der Barrierefreiheit vollständig erfassen, ist aufwendig und erfordert spezielle Expertise. Die Qualität der Ergebnisse hängt stark von den Trainingsdaten und den Algorithmen ab. Es besteht die Gefahr, dass KI-Tools als Alibi für mangelnde manuelle Überprüfung missbraucht werden.
KI kann einen wichtigen Beitrag zur Realisierung einer barrierefreien digitalen Welt leisten. Entscheidend ist jedoch ein ganzheitlicher Ansatz, der KI-Tools mit manueller Expertise und Benutzertests kombiniert. Nur so können Webseiten geschaffen werden, die wirklich allen Menschen zugänglich sind.
Bibliographie: https://matthias.guru/2025/01/07/barrierefrei-dank-ki-geldstrafe-fuer-accessibe-plugin/ https://www.heise.de/thema/Recht https://www.it-boltwise.de/ftc-verhaengt-millionenstrafe-gegen-ki-startup-accessibe-wegen-irrefuehrender-werbung.html https://www.dbsv.org/accessibility-overlays.html https://www.dotsource.de/digitale-barrierefreiheit/ https://www.derstandard.de/story/3000000229656/tausenden-websites-droht-das-aus-wenn-sie-nicht-barrierefrei-werden https://www.omt.de/digital-marketing/barrierefreie-apps/ https://www.hosteurope.de/blog/wcag-konform-dank-ki-accessibility-testing-fuer-mehr-barrierefreiheit/