Die wissenschaftliche Wissensgenerierung erlebt einen tiefgreifenden Wandel. Mensch und KI interagieren nicht mehr nur als Werkzeug und Benutzer, sondern entwickeln sich zu ko-evolutionären, epistemischen Partnern. Ein Beispiel dafür ist AlphaFold, welches die Vorhersage von Proteinstrukturen revolutioniert hat. Forscher beschreiben ihre Arbeit mit dem System als eine Partnerschaft, die ihr Verständnis fundamentaler Zusammenhänge neu geprägt hat. Dieser Wandel erfordert neue Rahmenwerke, um die Dynamik dieser Interaktion zu verstehen und zu gestalten.
Bestehende Modelle zur Beschreibung der Mensch-KI-Interaktion fokussieren oft auf statische Rollenverteilungen oder eng gefasste Metriken. Sie verfehlen damit die Komplexität der Wissensentstehung durch rekursive Interaktion über die Zeit. "Cognitio Emergens" (CE) bietet einen neuen Ansatz, der diese Lücken adressiert. Das Framework basiert auf drei Kernkomponenten:
Agenturkonfigurationen: CE beschreibt, wie sich die Autorität zwischen Mensch und KI verteilt. Drei Konfigurationen werden unterschieden: "Gesteuert", "Beitragend" und "Partnerschaftlich". Partnerschaftliche Konfigurationen zeichnen sich durch einen dynamischen Wechsel zwischen diesen Rollen aus und folgen keiner linearen Progression.
Epistemische Dimensionen: CE identifiziert sechs spezifische Fähigkeiten, die durch die Zusammenarbeit entlang der Achsen "Entdeckung", "Integration" und "Projektion" entstehen. Diese Fähigkeiten bilden einzigartige "Fähigkeitssignaturen", die die Entwicklung der Partnerschaft lenken.
Partnerschaftsdynamik: CE analysiert die Kräfte, die die Entwicklung dieser Beziehungen beeinflussen. Ein besonderes Risiko ist die "epistemische Entfremdung", bei der Forscher die interpretative Kontrolle über das Wissen verlieren, das sie formal bestätigen.
Aufbauend auf Theorien der Autopoiesis, sozialer Systeme und organisationaler Modularität zeigt CE, wie Wissensko-Kreation durch kontinuierliche Aushandlung von Rollen, Werten und Organisationsstrukturen entsteht.
CE betrachtet die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI als grundsätzlich ko-evolutionär. Dieser Ansatz vermeidet sowohl unkritische Euphorie als auch unbegründete Ängste vor der zunehmenden Rolle der KI. Stattdessen bietet CE konzeptionelle Werkzeuge zur Gestaltung von Partnerschaften, die eine sinnvolle menschliche Beteiligung gewährleisten und gleichzeitig transformative wissenschaftliche Durchbrüche ermöglichen. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zu finden, das die Stärken beider Partner optimal nutzt und gleichzeitig die menschliche Interpretationshoheit und den wissenschaftlichen Anspruch wahrt.
Die Zukunft der Wissensgenerierung liegt in der effektiven Gestaltung dieser Mensch-KI-Partnerschaften. CE bietet einen wertvollen Beitrag zur Navigation in dieser neuen Landschaft und zur Erschließung des vollen Potenzials der ko-kreativen Wissensentwicklung.
Bibliographie: - https://arxiv.org/abs/2505.03105 - https://arxiv.org/html/2505.03105v1 - https://paperreading.club/page?id=303882 - https://www.researchgate.net/publication/290596052_The_Dynamics_of_Knowledge_Co-Creation_in_Service_Encounters_A_Practice-Theoretical_Approach - https://www.researchgate.net/publication/389889277_Crossing_the_Singularity_Theoretical_and_Computational_Models_for_AI-to-Human_Knowledge_Re-Entry - https://mediatum.ub.tum.de/doc/1554427/807385494918.pdf - https://direct.mit.edu/books/oa-monograph/5297/bookpreview-pdf/2246867 - https://emac2024.org/assets/docs/preliminary-conference-programme.pdf - https://journals.aom.org/doi/abs/10.5465/amj.2016.0594?page%2Fid=75%3F_ref%3Dfinder - https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2543925124000020